Wir, die #iBorgs 

Tresorraum Kunstamt Tübingen

2014

Wir, die #iBorgs
Notizen zum Digitalen
Rauminstallation 2014

Kunstamt Tübingen, Tresorraum
24.05. – 22.06.2014
Konzept mit Maren Gebhardt
Eröffnung zur Kulturnacht mit der Performance „Im Takt des 1/0:
IBM 029 Lochkartenstanzer (Rhythmus)
Sylvia Pfändner (Stimme, Elektronik)
Thomas Maos (Gitarre, Samples)
mit einem Gedicht von Martin Jürgens

Unseren Umgang mit den digitalen Kommunikationstechnologien kommentiert die Aus- stellung „Wir, die #iBorgs – Notizen zum Digitalen“ im Tresorraum des Kunstamtes Tübingen vom 24.5. bis 22.6.2014.

Ein Lochkartenstanzer von 1964 stanzt in der Performance „Im Takt des 1 / 0“ während der Vernissage originale Lochkarten. Die Lochkarte wird in der Ausstellung durch künstlerische Auseinandersetzung auf verschiedene Weise zum ästhetischen Objekt. Aber Lochkarten sind vor allem greifbares Sinnbild dafür, wie auch heute Daten verarbeitet werden: 1 und
0, ja und nein, Etwas und Nichts. Digitale Bilder bestehen aus klar abgegrenzten Pixeln, Audiosamples sind nur Annäherungen an das analoge Audiosignal, Geschmacks- und Tastsinn fallen aus. Es gibt keine Grauzonen. Unsere Wahrnehmung verengt sich immer mehr auf den Sehsinn. Die Installationen der Ausstellung suchen nach den Grauzonen in unserem digital dominierten Leben. 

Unser digitaler Begleiter, das Smartphone vernetzt uns, dokumentiert unser Leben und macht uns alle(s) transparent. Ganz subtil programmieren uns ökonomisch orientierte Al- gorithmen beim täglichen Gebrauch um. Während wir uns dem digitalen Rausch hingeben, schwingen wir uns unmerklich in den Takt des 1 / 0 ein, der unseren Lebensrhythmus bestimmt. Unser Bezug zur Maschine ist dabei Lifestyle geworden, aus der Vision des Cyborgs sind wir, die iBorgs geworden. 

JETZT NOCH, GLEICH NICHT MEHR

Über den Kasper, die Freunde, ein Selfie und Vermeer

von Martin Jürgens

1
Wie einer, der grad um die Ecke

Biegt. Jetzt noch und gleich nicht mehr. 

Dazwischen keine Zeit, kein Ort.

Im Dunkel des gelebten Augenblicks

Sind wir, als gäb’s uns nicht.

„Na, seid ihr alle da?“

Der Kasper fragt, und alle

Schreien wie am Spieß:

JA, wir sind da und wollen

Ums Verrecken nicht, daß

Wir uns einmal fehlen.

Und einer sagt, sein Atem

Feucht an meinem Ohr:

„Sojungkommwir“, es

Hickst, die dreizehn Biere

Melden sich, „sojung“ und

Hickst und ist von sich gerührt, 

„Kommwirniemehrzusamm!“

Und nachts um zwölf: „Ein Glück,

Daß du geboren bist!“ Die lieben

Freunde singen, inbrünstig wie

Noch nie und alle Jahre wieder:

„Wir hätten dich sonst

Sehr vermißt.“

2
Und sie hier überwacht sich

Selbst, pflegt ihre Jugend und

Macht Bild um Bild von sich und lacht,

Solang es eben geht (hier nicht), als

Zeige sich in fein schraffierten

Schatten, die nur sie sehen kann,

Daß sie schon vor der Zeit vergeht.

Vergeht wie dieser Augenblick,

In dem sie lautlos, von dem Blitz

In ihrer Hand geblendet, und

Wie in einem Atem sagt:

Ja, ich bin da, da in dem Spiegel,

Das bin ich, die ich mich selbst

Im Spiegel seh, mein drittes Auge

In der Hand, das mich ansieht,

Mich zeigt, nur mich, so oft ich

Will, mir zeigt und euch, 

Die ihr mich kennt.

Und allen: Das bin ich

In diesem einen 

Augenblick.

3

Hier eine andere, vor

dreieinhalb Jahrhunderten:

Es kann die Tochter sein.

Kann sein die Magd von nebenan.

Sie dient ihm als Modell

Mit diesem Turban auf dem Kopf,

Die große Perle da im Ohr,

Die sie nur trägt, damit ihm

Dieser kleine Glanz gelingt

Im Schatten ihrer Wange?

Sie wendet sich ihm zu und 

Sieht ihn an. Er malt sie

Vor dem dunklen Hintergrund,

Als gäb es nichts als ihren Blick

Und diese zarte Haut und diesen

Feuchten Mund. Sie atmet ein

Und sagt: „Ich muß jetzt

Weg, hab noch zu tun.“

4

Im nächsten Augenblick ist sie

Davon. Die Spur von ihrem Liebreiz

In der Luft. Und er allein mit

Seinem Bild von ihr, so weit es ist.

Sie macht die Betten, und

Er malt. Sie rupft das Huhn.

Er malt, als sei sie da.

Mit jedem Pinselstrich, der die 

Kontur von Stirn und Kinn und Wage

Weicher macht, zu sehen nur von nah,

Ruft er, und Goethe schreibt es später auf

Und bleibt dabei ganz allgemein:

„Verweile doch, du bist so schön.“

Doch davon weiß sie nichts, sie

Holt derweil das Feuerholz.

Der Kasper fragt wir

Schreien wie am Spieß

Ja wir sind da

Da in dem Spiegel

Das sind wir 

Und hätten uns

Sonst sehr vermißt

Sojungkommwirniemehr

Verweile doch du bist

Ja, es gibt nichts

Als dieses Augenlicht,

Dem sonst nichts gleicht.

Das bleibt und hinter diesem

Netz aus feinen Rissen

Ihr unfaßbares Angesicht.

Hören

Lochkartenstanzer

Hören

Samples, Gitarre (Thomas Maos)